Interview mit Susanne von der fairTEiLBAR

Ein Drittel aller produzierten Lebensmittel landet nutzlos in der Tonne – insgesamt etwa 11 Millionen Tonnen pro Jahr allein in Deutschland. Die fairTEiLBAR möchte dagegen etwas tun, indem sie hier in Münster gerettete Lebensmittel zum „zahl, was es dir wert ist-Preis“ allen zugänglich macht. Wie genau das funktioniert und was jeder privat gegen Lebensmittelverschwendung tun kann, das hat mir Gründerin Susanne in einem Interview erklärt!
Susanne, erklär doch mal für alle, die euch noch nicht kennen, was die fairTEiLBAR eigentlich ist!
Die Idee der fairTEiLBAR ist es, Lebensmittel zu retten und sie allen Menschen zugänglich zu machen – ein relativ einfaches Prinzip. Das heißt, wir bewahren Lebensmittel vor der Tonne, zum Beispiel, weil sie aufgrund des Mindesthaltbarkeitsdatums im Einzelhandel oder auch in sozialen Einrichtungen nicht mehr verkauft oder gebraucht werden können, weil sie aufgrund von EU-Normen oder wegen ihrer Form nicht im Einzelhandel verkauft werden können. Wir nehmen diese Lebensmittel und stellen sie zum „Zahl, was es dir wert ist-Preis“ allen Menschen zur Verfügung. „Zahl, was es dir wert ist“ stellt dabei für uns die Grundlage dar, dass sich jeder die Lebensmittel leisten kann, auch wenn man zum Beispiel ein kleineres oder gar kein Einkommen hat. Gleichzeitig wollen wir aber auch erreichen, dass Leute über den Wert von Lebensmitteln wieder neu nachdenken und mal überlegen, „was liegt da eigentlich auf meinem Teller?“, „wie wurde das hergestellt?“, „wo kommt es her – wurde es in Deutschland angebaut oder ist es vielleicht um die halbe Welt geflogen, bevor es bei mir in der Küche gelandet ist?“, und dann mal darüber nachdenken, was dieses Lebensmittel eigentlich wert ist.
Vielleicht kennst du das: wenn man einkaufen geht, guckt man schnell auf das Preisschild, aber in den seltensten Fällen überlegt man, wo das Lebensmittel herkommt und ob der Preis gerechtfertigt ist. Wir von der fairTEiLBAR wollen wieder eine gewisse Wertschätzung für Lebensmittel kultivieren, weil wir den Eindruck haben, dass das an vielen Stellen verloren geht. Das erkennt man unter anderem auch daran, dass Lebensmittel in Deutschland sehr günstig sind. Das ist einer von vielen Gründen dafür, dass 313kg pro Sekunde allein in Deutschland verloren gehen – das sind fast 100 000kg in fünf Minuten – und da sprechen wir nur von Lebensmitteln, die tatsächlich auch noch genießbar und lecker wären!
Daran wollen wir etwas ändern und haben uns dazu ein sehr breites Konzept überlegt: wir wollen in Münster einen Laden für gerettete Lebensmittel eröffnen, der zusammen mit einem Bistro die Möglichkeit bietet, diese Lebensmittel zum „Zahl, was es dir wert ist-Preis“ einzukaufen oder gleich zu probieren. Wir glauben, wenn die Leute probieren, und merken wie lecker und hochwertig gerettete Lebensmittel sind, dann ist auch die Motivation größer, Lebensmittel nicht gleich zu entsorgen. Damit, und in Kombination mit Bildungsarbeit, wollen wir dafür sorgen, dass die nachfolgenden Generationen wieder mehr über Lebensmittel erfahren und lernen, diese wieder wertzuschätzen. Denn die, die es in der Hand haben, sind eigentlich die, die in den nächsten 20 Jahren Konsumenten und Köche zuhause sind.
Außerdem planen wir Workshops und die Zusammenarbeit mit verschiedenen Bildungsträgern um möglichst vielen Leuten zu zeigen, wie man ein Lebensmittel haltbar machen kann, wie das zum Beispiel mit dem Einkochen funktioniert, oder wie man auch die ganze Pflanze verwerten kann. Wir sind da auch offen für Fragen und überlegen dann gemeinsam mit den Fragenden, wie man dieses oder jenes Problem kreativ lösen könnte…
Hattest du ein konkretes Erlebnis, das dir den Anstoß oder die Idee für die fairTEiLBAR gegeben hat?
Ja, da gibt es mehrere kleine Erlebnisse; eine Mitbewohnerin und Freundin hat mich vor Jahren mit zum „Containern“ genommen. Wir sind abends zu einem dieser riesigen Supermärkte gegangen und haben dort in die Tonnen reingeguckt, die bis oben hin voll mit Lebensmitteln waren. Dabei waren ganz viele abgepackte, aber auch frische Lebensmittel, die zum größten Teil noch nicht mal abgelaufen waren. Das hat mich total schockiert, denn ich habe von klein auf gelernt, dass man mit Lebensmitteln achtsam umgeht und dass man zum Beispiel auch das Essen vom Vortag noch weiterisst beziehungsweise weiterverwendet und es wichtig ist, Essen nicht achtlos wegzuwerfen. Danach habe ich mich dann bei Foodsharing angemeldet und dort Lebensmittel gerettet.
Als Sozialarbeiterin habe ich irgendwann auch festgestellt, dass einige Menschen Vorbehalte haben, zur Tafel zu gehen – entweder, weil sie sich dort nicht so wohlfühlen, beziehungsweise nicht sagen wollen, dass sie wenig Geld haben, oder weil bei ihnen die Voraussetzungen gar nicht gegeben sind.
Und dann hab‘ ich mir gedacht, auf der einen Seite sind so viele Lebensmittel, die weggeworfen werden, und auf der anderen Seite so viele Menschen, die ein Interesse daran hätten – es braucht ein neues Konzept, was Modernes, Frisches und vor allem auch Schönes, Einladendes. Über mein Engagement als Foodsaverin habe ich viele Menschen kennengelernt, die in dem Bereich auch sehr engagiert sind und sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen. Die habe ich im Januar dann alle einfach an einen Tisch eingeladen und ihnen von meiner Idee erzählt. Aus dieser Runde ist dann auch unser Kernteam von 5 tollen Gründerinnen entstanden, die im Moment alle daran arbeiten, dass aus dieser Idee dann auch ein Laden werden kann, denn im Moment gibt’s uns ja vor allem als „Pop-Ups“.
Gerade hattest du das „Zahl, was es dir wert ist-Prinzip“ erwähnt; man kann bei euch also einfach so viel bezahlen, wie man möchte! Wie gut klappt das denn? Und zahlen die Leute eher mehr oder weniger als erwartet? Oder habt ihr da tatsächlich gar keine Erwartungen?
Das Ganze ist tatsächlich ein sehr neuer Ansatz, vor allem ist es neu, dass ein Laden das als dauerhaftes Grundprinzip so macht. Viele machen das ab und zu mal so als Testballon und wir merken auch, dass sowohl wir, als auch die Menschen die zu uns kommen, erstmal lernen müssen, damit umzugehen. Das heißt, es gibt erstmal gar kein richtig und kein falsch! Wir meinen es also schon absolut ernst, dass man zahlen kann, was es einem wert ist und so viel gibt, wie man eben auch kann. Und, was die Leute geben, ist total unterschiedlich. Ich habe aber das Gefühl, dass – sobald die Leute die Idee dahinter verstanden haben – sie bereit sind, für diese Idee dann ein bisschen mehr zu geben. Ganze viele sagen dann, „ich finde es super was ihr macht, ich spende jetzt mit für das Projekt“. Wenn uns das weiterhin so gelingt, dann haben wir auch eine realistische Chance, dass wir denen, die weniger haben, die Lebensmittel auch wirklich für wenig geben können, ohne dass das Konzept dabei ins Wanken gerät. Das hat bei den Pop-Ups auch erstaunlich gut funktioniert, fast sogar besser als gedacht – auch wenn viele Leute erstmal ein bisschen ratlos dastehen und die Lebensmittel eine Zeitlang in der Hand haben, vielleicht sogar hoffen, dass wir ihnen jetzt endlich einfach irgendeinen Preis sagen. Aber wenn man dann zusammen überlegt, was für Produkte drin sind und wo sie herkommen, findet sich auch schnell der „richtige“ Preis!
Das klingt echt gut – könntest du dir vorstellen, dass es langfristig in Deutschland noch viel mehr solcher Läden gibt und dass das vielleicht sogar die Alternative zu unserem aktuellen Wirtschaftsmodell darstellen könnte?
Ich hoffe das und würde mir wünschen, dass Konzepte wie die fairTEiLBAR mehr wachsen. Es gibt tatsächlich schon einige in Deutschland – in Berlin zum Beispiel SirPlus, einen großen Supermarkt mit zwei Filialen, wo gerettete Lebensmittel zu festen, aber sehr günstigen Preisen angeboten werden, und in Köln gibt es The Good Food, die auch mit dem „Zahl, was es dir wert ist-Konzept“ arbeiten.
Das Bewusstsein wird glaube ich an ganz vielen Stellen größer und es wird – finde ich – auch deutlich, dass ganz viele Leute eigentlich Lust auf diese Lebensmittel haben. Also ich weiß nicht wie es dir geht, aber eigentlich kriegt man von Lebensmittelverschwendung nicht so viel mit, denn es passiert ja quasi hinter verschlossenen Türen. Man weiß zwar, dass es hinter den Supermärkten Mülltonnen gibt, aber wie groß die Mengen werden, wenn man dann auch beim Großhändler, auf dem Acker und bei den Produzenten guckt, das wissen viele Leute zum Beispiel gar nicht. Je mehr sowas aber ans Tageslicht kommt, desto mehr Initiativen entwickeln sich auch, die bereit sind, etwas dagegen zu tun, sich damit zu beschäftigen und frische, junge Konzepte zu entwickeln…
Und woher bekommt die fairTEiLBAR hauptsächlich die Lebensmittel – von Supermärkten, Großhändlern oder vielleicht vom kleinen Bio-Bauern nebenan?
Tatsächlich ist es so, dass wir gezielt da Lebensmittel retten, wo sie im Moment noch verloren gehen, weil sie für andere Initiativen aus unterschiedlichsten Gründen nicht infrage kommen. Wir beziehen uns dabei vor allem auf die Handelskette „über den Supermarkt“, also vom Acker über den Produzenten bis zum Großhändler. Ganz viele Lebensmittel kommen zum Beispiel überhaupt nicht weg vom Feld – geraden in so einem super warmen Sommer werden viele Lebensmittel gleichzeitig reif und oft können so große Mengen dann gar nicht abgenommen werden. Für 200kg Kohlrabi braucht man dann natürlich entsprechende Möglichkeiten, was das Lagern und Haltbarmachen angeht – dafür soll der Laden uns später die nötige Infrastruktur bieten.
Viele Lebensmittel kommen zu uns, weil sie den Normen nicht entsprechen, also irgendwie unförmig ist. Das wird dann oft gleich wieder untergepflügt – eine Variante, bei der zwar das Feld gedüngt wird, aber trotzdem sind es ja Lebensmittel, die eigentlich Menschen satt machen sollten. Sie sind zwar „knubbelig, krumm, sehr groß oder sehr klein“ aber trotzdem total lecker! Wir arbeiten deshalb direkt mit den Landwirten zusammen und gehen aufs Feld, wo wir die Nachernte einsammeln – wenn man Lust hat, kann man da auch gerne mal mitkommen und uns helfen! Im Moment klettern wir zum Beispiel in die Obstbäume und lassen ganz viel Saft mosten…
Bei den Lebensmitteln, die ihr haltbar macht, interessiert mich jetzt natürlich die Verpackung: welche Materialien nutzt ihr und woher bekommt ihr diese?
Bei den Dingen, die wir selbst produzieren, versuchen wir möglichst auf Verpackungen zurückzugreifen, die schon ein Leben vorher hatten – wir sammeln zum Beispiel Gläser, sterilisieren diese und kaufen im Zweifelsfall dann Deckel dazu, einfach damit die Versiegelung gewährleistet ist. Unsere Idee ist es, immer möglichst viel von dem zu verwenden, was sonst keine Verwendung gefunden hätte! So auch bei unseren Upcycling-Visitenkarten, die auf alte Pappe gestempelt werden.
Wo wir schon mal dabei sind: wie sehen eure Zukunftspläne eigentlich genau aus? Und wie kann man euch dabei unterstützen?
Erstmal kann man uns natürlich unterstützen, indem man unsere Idee teilt, zum Beispiel über soziale Medien wie Facebook oder Instagram. Uns ist total wichtig, dass möglichst viele Menschen von Lebensmittelverschwendung und deren Auswirkungen erfahren! Eventuell gibt es in Zukunft auch eine Crowdfunding-Kampagne und wir freuen uns natürlich, wenn da Unterstützung für unser Projekt kommt. Außerdem kann man uns gerne bei den Pop-Ups besuchen. Termine findet man auf unserer Website http://www.fairteilbar-muenster.de oder auch bei Facebook.
Update: das Crowdfunding war erfolgreich und seit Herbst 2019 findet ihr die fairTEiLBAR an der Hammerstr. 60 im Südviertel!
Hast du zum Schluss noch ein oder zwei Tipps, wie man auch zuhause Lebensmittelverschwendung vermeiden kann?
Klar! Erstmal gilt: je brauner eine Banane wird, desto leckerer wird sie eigentlich, also keinesfalls entsorgen, nur weil sie von außen nicht mehr so hübsch aussieht! Man kann sie zum Beispiel einfach einfrieren und ein leckeres Bananeneis damit machen oder ein Bananenbrot draus backen, weil die Bananen dann eigentlich erst richtig süß und aromatisch werden. Außerdem kann man mal überlegen, wie man Gemüse komplett verwerten kann – zum Beispiel könnte man das Möhrengrün zu einem Pesto weiterverarbeiten, weil das Chlorophyll darin super gesund für uns und dazu noch ziemlich lecker ist. Apfelschalen kann man trocknen und zu Tee weiterverarbeiten (oder am besten gleich mitessen ;-)). Und ein echter Klassiker ist natürlich auch, altes Brot einfach zu toasten, das funktioniert immer super!
2 Comments
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Sehr interessantes Interview :)
Danke!